Wer in Anbetracht des regulären heimischen Kinoprogramms denkt, das internationale Genrekino hätte nicht genug Sehenswertes zu bieten, um ein 10-tägiges Festival des fantastischen Films bis zum Bersten zu füllen, der darf sich im September vom Gegenteil überzeugen. Denn dann öffnet das Filmcasino ein weiteres Mal seine Pforten für alle /slash-Hungrigen.
Auf dem Menü steht allerhand Schwerverdauliches, Radikales, Schauriges, Rotzfreches, wunderbar Trashiges und nicht selten der blanke Wahnsinn. Dass der ein oder andere Film dem Publikum schon mal ein bisschen vor den Kopf stößt, darauf legt es der Master des /slash Filmfestivals gerne an. Warum das so ist und was es sonst noch über das Programmieren zu wissen gibt, erzählt er uns jetzt.
Lieber Markus, du bist das ganze Jahr auf der Suche nach neuen Genre-Schätzen für das /slash, reist durch die Welt, klapperst Filmfestivals ab. Das klingt wie ein Traumjob, von dem du vermutlich nicht einmal annähernd leben kannst. Woher kommt diese Leidenschaft für den fantastischen Film?
Ich glaube jeder, dem Kino etwas bedeutet, hatte irgendwann im Leben so einen Moment, wo es gefunkt hat. Das war bei mir in der Jugend, weil ich Einzelgänger war und mich im Kino wie in eine Höhle zurückziehen konnte, in der mir die Welt erklärt wurde, in der ich die Wut und andere Dinge, die man als Teenager halt empfindet, ausleben konnte. Und wenn mir ein Film gefällt, will ich ihn irgendwem zeigen, ihn mit jemandem teilen. Das ist wie ein Instinkt. Das war schon damals mit den VHS-Kassetten so, die ich am Wochenende aus der Videothek ausleihen durfte, da gab es immer eine 3 + 1 Aktion. Ab einem gewissen Alter waren das dann fast nur mehr Horrorfilme. Viele habe ich zehnmal gesehen, weil die Auswahl nicht groß war. Und dann mussten meine besten Freunde zum Filmschauen vorbeikommen – ein paar solche Kellerblumen gab es ja zum Glück. Ich habe oft gar nicht mehr auf den Fernseher geschaut, sondern auf die Freunde, weil mich ihre Reaktionen so wahnsinnig interessiert haben.
Viele Filme im Programm hast du auf Festivals entdeckt. Zu welchen Filmfestivals fährst du denn und gibt es noch andere Wege, wie du an die Filme kommst?
Ich wär gern auf viel mehr Festivals, das ist halt eine Geldfrage. Aber Fixstationen sind Berlin, Cannes, Venedig und Sitges (Barcelona). Berlin und Cannes sind deshalb so essentiell, weil es eben dort die Filmmärkte gibt und das also die Hauptquellen sind. Viele von diesen Filmen findet man dann am Markt, wo sie darauf warten, von irgendeinem Distributor gekauft zu werden. Andere Festivals verfolge ich virtuell, ganz wichtig sind das South by Southwest (Texas), das Fantastic Fest in Austin, das koreanische fantastische Filmfestival und die Sundance Midnight-Schiene. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht tatsächlich darin, diese Filme anzufragen bei den Firmen und um Screener zu bitten. Das heißt, viele von ihnen sichte ich bei mir daheim auf dem Fernseher oder am iPad.
Gibt es weniger schöne oder richtig schwierige Aufgaben, die bei der Erstellung des Programms anfallen?
Wenn man künstlerisch verantwortlich ist, hat man eine gewisse Idealvorstellung, wie etwas auszusehen hat, wie man es sich erträumt. Und dann gibt es die Wirklichkeit, in der man halt einfach Abstriche machen muss, vor allem, wenn man wie wir mit einem doch sehr kleinen Budget auszukommen hat. Es sind gewisse Gäste nicht leistbar. Es sind gewisse Filme nicht leistbar. Für mich ist auch schmerzlich, selten ein historisches Programm erstellen zu können, weil das viel kostet und der Publikumszuspruch dafür nicht hoch ist. Auf jeden Fall ist das schon ein ziemlicher Thriller, diese Zeit in der ich sichte, selektiere und programmiere. Das ist ein Wechselbad der Gefühle und gleichzeitig meine liebste und am wenigsten liebste Zeit in der Vorbereitung. Die schönste Zeit ist, wenn das Festival einmal läuft – minus Eröffnung, das ist der schrecklichste Tag des Jahres! Also natürlich ist es dann der schönste Tag, wenn er vorbei ist, aber davor ist es der schrecklichste.
Man sollte meinen, Verleihfirmen sind froh, wenn ihr Film auf Festivals wie dem /slash gezeigt wird. Woran kann es scheitern, einen Film zu bekommen?
Den finanziellen Grund habe ich schon erwähnt – das ist der eindeutigste. Oder es scheitert, weil Verleiher eine gewisse Verleihstrategie verfolgen. Die sagen dann, der Film ist nicht für Festivals geeignet, weil er einen eindeutigen Ausgang hat, der geschützt werden soll – etwa vor „Opinion-Leadern“ und Bloggern, die das dann zu früh im Netz verbreiten. Oder die Verleihfirma sagt, wenn das Festival nicht unmittelbar vor dem Kinostart des Films liegt, bringt ihnen das marketingmäßig nichts. Das ist uns heuer bei vielen Filmen passiert. Dann gibt es den Fall, dass Filme zu neu sind, weil Vertriebe den Release in Deutschland / Österreich erst für 2016 planen. Es gibt viele Gründe und die Situation ist schwieriger geworden. Durch diese aufgeheizte neue Distributionslandschaft mit Video-on-Demand und Netflix agieren die Firmen mittlerweile sehr protektionistisch und mit Angst. Das betrifft oft größere Filme mit bekannteren Schauspielern. Ich habe gelernt, dass man gewisse Filme einfach ziehen lassen muss.
Was war denn das meiste, was ihr bisher für einen Film bereit wart, zu zahlen?
„Das war wohl The Raid 2 mit über 1000 Euro“, informiert uns Lena, die unermüdliche und unverzichtbare kaufmännische Leiterin vom /slash. Weiter berichtet Markus: Erstens zahlt man bei Filmen eine licensing fee. Und dann kommen teilweise noch Kosten dazu, zum Beispiel wenn das Unternehmen von einem Film kein DCP produziert hat. DCP ist die bevorzugte Ausspielungsform für uns weil es die beste Qualität bietet. Oft muss es extra für uns hergestellt werden und wir müssen die Kosten übernehmen. Das summiert sich. Also das muss dann schon ein Film sein, auf den schon alle warten und der dem Festival viel bringt. Ansonsten verliert man da einfach Geld.
Und was war das meiste, was ein Vertrieb von euch für einen Film haben wollte?
Das sind immer die japanischen Unternehmen, die verlangen im Durchschnitt 2000 Dollar pro Film. Und die sind sehr oft auch nicht verhandlungsbereit. Da müssen wir dann häufiger ablehnen.
In wie weit darf man denn seine eigenen Vorlieben über die Filmauswahl bestimmen lassen?
Das passiert in gewisser Weise unweigerlich. Aber ich glaube, dass ich vor allem im fantastischen Film sehr breit aufgestellt bin. Und ich erkenne schon auch Filme, die relevant sind, ohne dass sie mir gefallen. Ich habe versucht, das rein Geschmäcklerische nie wirklich zuzulassen. Es ist aber bei weitem nicht so, dass alle 40 Filme im Programm Lieblingsfilme von mir werden. Mit Zombie- und generell Horror-Komödien kann ich wenig anfangen. Aber ich war dann oft doch überrascht von solchen Filmen. Ich versuche, sehr offen zu sein. Natürlich kann man das nicht immer kontrollieren, aber ich habe ja auch ein Team, das mitredet. Und wir ziehen schon ein sehr diverses Publikum an – das ist Zeugnis davon, dass für viele Menschen was dabei ist, also von den Gorehounds bis zu eher kunstsinnig gestimmten Leuten, von jung bis alt. Sehr viele sind überrascht, dass so viele Frauen bei uns sitzen, Jörg Buttgereit zum Beispiel. Da ist er vielleicht ein bisschen altmodisch in seinem Denken, aber trotzdem ist das auch ein Ergebnis von der Programmierung. Und das ist schon was, auf das wir sehr stolz sind, nämlich dass das Festival so breit aufgestellt ist vom Programm und vom Publikum her.
Du kennst mittlerweile unzählige Genrefilme, siehst somit immer öfter Filme, die für dich nichts Neues bieten. Wird es mit den Jahren schwieriger oder einfacher, eine Auswahl zu treffen?
Das ist ein bisschen jahresabhängig. Teilweise bin ich sehr enttäuscht, wenn ich im Frühjahr noch nicht mal 10 Filme markiert habe in meinem Notizbuch, die ich unbedingt zeigen möchte. Und dann kommen doch immer genügend Filme dazu. Obwohl wir so einen speziellen Bereich abbilden, stecken so viele Universen darin und so viele Dinge, die man auf den ersten Blick nicht erwartet. Das heurige Programm wird das hoffentlich sehr schön kommunizieren. Viele von den typischen „Fantasy Festival Filmen“ sind zwar ganz ok, aber es ist meistens nichts Aggressives, nichts Spannendes dabei. Also habe ich heuer das erste Mal ganz dezidiert viele Leute angeschrieben, von denen ich weiß, dass die sehr wild und auf kleineren Festivals unterwegs sind. Und ich habe sie gebeten, mir Dinge zu schicken oder zu nennen. Nicht wenige von diesen Filmen sind im Programm gelandet. Einige davon würde ich nicht als klassische Genrefilme bezeichnen, sondern eher als Hybriden, die aber eine Radikalität haben und gewisse Dinge, die mir bei anderen bekannteren Filmen abgehen. Das macht auch ein Festival aus, sonst bräuchte man ja keinen Kurator mehr, der sich Gedanken macht. Wir waren immer schon stark verzahnt mit dem Untergrund und das kommt dieses Jahr noch stärker heraus als bisher.
Wie wichtig ist es für dich, auch Filme zu programmieren, die vielleicht vielen Leuten vor den Kopf stoßen? Siehst du dich gern in der Rolle des Provokateurs?
Das gehört dazu in dem Feld, das wir abdecken. Wenn es auf reine Provokation hinausläuft, finde ich es langweilig. Aber es gibt ja Filme wie zum Beispiel A Serbian Film, den wir im ersten Jahr gezeigt haben, der hat große Wellen gemacht. Ich war nicht wahnsinnig begeistert von ihm, aber ich finde, wir müssen in solchen Fällen auch die Rolle einnehmen, diese Filme öffentlich zur Diskussion zu stellen. Nur wenn ich einen Film jetzt so richtig moralisch verwerflich oder politisch dubios finde, davor schrecke ich zurück. Haltloser Zynismus stößt mich eher ab. Aber auch solche Filme kommen schon mal zu uns rein. Ab und an hat man ja Lust, Orte zu betreten, die einem etwas gefährlicher erscheinen, wo man sich ein bisschen fürchtet, die einen vielleicht ein bisschen verletzen und wo man sich nicht ganz sicher ist, ob das jetzt in Ordnung ist, was da passiert. Das ist eine Macht, die diese Erzählform hat und das ist eine ganz große Qualität! Sehr wenige von dieser Art von Filmen schaffen über normale Betriebswege den Weg in die Kinos.
Ein wenig Nostalgie zum Schluss. Welche Filme haben deine Liebe fürs /slash entfacht?
Ich bin 1981 geboren und die frühen 90er Jahre waren die Zeit, wo ich zum ersten Mal massiv Horrorfilme geschaut hab. Das waren so Arbeiten wie Schweigen der Lämmer, Es, Friedhof der Kuscheltiere, überhaupt viele Stephen King Verfilmungen, Braindead von Peter Jackson – und Slasher über Slasher über Slasher! Und die schaue ich nach wie vor total gern. Bewusst in gewisse Regisseure reingekniet habe ich mich erst mit etwa 17 Jahren. Das waren Japaner wie Kiyoshi Kurosawa oder Italiener wie Argento und Bava. Aber zu der Zeit, in der ich mich verliebt habe in diese Art von Film, da war das eher affektgesteuert: „Oh geiles Cover, extrem viel Blut, muss ich sehn“. Wie ich viel älter war, habe ich erst erkannt, was mich daran so begeistert hat, teilweise versteh ich es heute auch nicht mehr, aber so ist das halt mit Jugendlieben.
Danke, lieber Markus, für das Interview. Das vollständige Programm gibt’s hier übrigens ab dem 28. August!